Deutschlands Abhängigkeit von globalen Wasserstofflieferketten und die Entwicklung der Wertschöpfung in Afrika und dem Nahen Osten
Lesedauer ca. 8 MinutenWir befinden uns in einem Zeitalter massiver globaler Umwälzungen. Eine der disruptivsten Veränderungen findet derzeit auf globalen Energiemärkten statt. Deutschland setzt wie viele andere Länder auf grünen Wasserstoff als Energiespeicher für erneuerbare Energien.
Die Smart Cities der Zukunft sind auf saubere Energiequellen und zuverlässige Lieferketten angewiesen. Deutschland und Europa werden voraussichtlich nur einen Bruchteil des benötigten grünen Wasserstoffes selber produzieren können. Der Bezug von Wasserstoff aus dem Ausland ist mit vielen geopolitischen, ökonomischen und technischen Herausforderungen verbunden. Deshalb beschäftigt sich dieser Blogbeitrag mit der Entwicklung von nachhaltigen und resilienten Lieferketten, am Beispiel von Energielieferanten aus Afrika und dem nahen Osten.
Wir befinden uns in einer Zeit der sogenannten Vielfachkrisen. Das bedeutet, dass verschiedene Krisenherde, wie z.B. konventionelle Kriege, Pandemien, Wirtschaftskriege und globale Machtverschiebungen gleichzeitig stattfinden und sich dabei gegenseitig verstärken. Die schwerste Herausforderung dabei ist mit großer Wahrscheinlichkeit die globale Klimakrise, welche uns Menschen langsam aber sicher sämtliche Lebensgrundlagen zu entziehen droht. Mittlerweile sorgen die Vielfachkrisen aber auch für immense kurzfristige Probleme, welche sich insbesondere in gestörten Lieferketten und Veränderung von Handelsbeziehungen niederschlagen. Diese sind in Lieferketten für Energie und Rohstoffe besonders einschneidend.
Dabei bestehen für Europa etliche Lösungswege (z.B. Entwicklung einer Kreislaufwirtschaft, Energiesparsamkeit, Konsumverzicht), welche jedoch eine große Veränderungsbereitschaft von Regierungen, Unternehmen und der Zivilbevölkerung erfordern. So ist die Energiewende hin zu erneuerbaren Energiequellen und die Verringerung der Abhängigkeit von einzelnen Energielieferanten die wohl wichtigste Herausforderung der 2020er Jahre.
Besonders Deutschland wird ihre Rolle hinterfragen müssen. Als wirtschaftsstärkste Nation in Europa, hat Deutschland einen großen Einfluss auf die Weltpolitik. Insbesondere in der Zusammenarbeit mit Ländern des globalen Südens, ist ein Umdenken gefordert. Bisher ist Deutschland besonders bei der Zahlung von Hilfsgeldern in Katastrophenfällen aufgefallen. Nachhaltige wirtschaftliche Zusammenarbeit z.B. mit afrikanischen Ländern konnte nicht entwickelt werden. In der Wirtschaftsdiplomatie fallen Deutschland und Europa immer wieder in der Wertevermittlung auf. Dabei ist beispielsweise die sog. „feministische Außenpolitik“ der aktuellen Bundesregierung zu benennen. Eine wertegeleitete Außenpolitik wird im In- und Ausland nicht immer positiv aufgenommen. Außerdem geht dabei die kulturelle Offenheit und globale Weitsicht verloren, da mögliche Handelspartner immer wieder an den eigenen Wertevorstellungen gemessen und im Zweifelsfall öffentlich gemaßregelt werden. Hinsichtlich der Kolonialvergangenheit Europas und des wachsenden Selbstbewusstseins der Grenz- und Schwellenländer des globalen Südens, wird es schwer sein, eine rein wertegeleitete Außenpolitik weiter zu verfolgen.
Der Ansatz, die eigenen europäischen Interessen mit den Interessen möglicher Lieferländer von grünem Wasserstoff zu vereinen, könnte ein zukunftsweisender Weg sein. Dabei gilt es zu beachten, dass die Interessen grundverschieden sein können. Während es in Europa um die Erhaltung von Wohlstand, Klimaneutralität und Energiesicherheit geht, steht in Ländern des globalen Südens der Aufbau von Wohlstand, Bekämpfung von Klimafolgen (u.a. Dürren, Überschwemmungen, Armut) und eine grundlegende Elektrifizierung im Vordergrund.
Deutschland versucht derzeit seine Wirtschaftsdiplomatie und neue Handelsbeziehungen im Energiesektor mit sog. internationalen Energiepartnerschaften anzustoßen. Diese internationalen Übereinkünfte regeln grundsätzliche Rahmenbedingungen zwischen Deutschland und möglichen Energielieferanten. Die praktische Ausgestaltung, wie z.B. der Einkauf oder der Aufbau von Anlagen zur Produktion von grünem Wasserstoff, wird von Unternehmen vollzogen. Deshalb ist das Thema der H2-Lieferketten ebenso ein Thema für Smart City Projekte. Kommunen, kommunale Gesellschaften, privatwirtschaftliche Unternehmen, sowie Forschungseinrichtungen, können grundsätzlich Teil von Energiepartnerschaften und aktiver Teil im Aufbau von internationalen H2-Lieferketten sein.
Neben technischen Voraussetzungen, gilt es insbesondere weiche Faktoren in den Aufbau neuer Lieferketten einzubringen. Bei den weichen Faktoren zählt die Vertrauensbildung zu den wichtigsten zukünftigen Geschäftsgrundlagen. Die Energie- und Rohstoffmärkte sind hochkomplex. Aufgrund der Internationalität und Wichtigkeit von Energie und Rohstoffen für alle Volkswirtschaften sind neben Akteuren der freien Wirtschaft auch Regierungen sehr intensiv in den Energiemärkten aktiv und steuern diese über Regulierungen. Zudem ist die Akzeptanz der Zivilbevölkerung hoch zu priorisieren. In diesem Dreieck, gilt es die wirtschaftliche, politische und zivile Stabilität zu wahren. Am Beispiel der Abhängigkeit Deutschlands von russischen Energieimporten wird die Gefahr deutlich, dass Unternehmen in die Insolvenz rutschen, Regierungen zerbrechen und große Teile der Bevölkerung von Armut durch steigende Energiepreise betroffen sein können, sobald Energieimporte ausbleiben.
Die deutsche Wirtschaftspolitik war über viele Jahre durch den Aufbau von Abhängigkeiten bestimmt. Insbesondere die Wirtschaftsbeziehungen zu Russland und China weisen kaum Anhaltspunkte für eine nachhaltige Vertrauensbildung zwischen den Akteuren auf. Sogar das Verhältnis zum engsten europäischen Verbündeten, den USA, steht derzeit in Frage.
So hatte es über viele Jahrzehnte keine Bedeutung für die wirtschaftlichen Beziehungen, ob die amerikanischen Präsidenten Reagan, Clinton, Bush oder Obama hießen. Spätestens seit der Präsidentschaft von Donald Trump besteht jedoch ein großer Unterschied in dem Vertrauensverhältnis, ob in Washington D.C. eine republikanische oder demokratische Administration regiert.
In Zukunft werden Deutschland und Europa es nicht vermeiden können, auf Vertrauen basierte wirtschaftliche Partnerschaften zu schließen, um die Energieversorgung des Kontinents zu sichern.
Bezüglich des Aufbaus einer Wasserstoffwirtschaft hat die deutsche Bundesregierung eine nationale Wasserstoffstrategie veröffentlicht. Darin benennt die Bundesregierung u.a. das Ziel, aktuelle Importeure von fossilen Energieträgern wie Kohle, Öl und Gas einzubinden und gemeinsam mit diesen Ländern eine globale Energiewende mit Hilfe von grünem Wasserstoff einzuleiten.
Eines der Länder, welches unter die genannte Definition fällt, ist Saudi-Arabien. Das Land ist Gründungsmitglied der Organisation der erdölexportierenden Länder (OPEC) und somit ein mächtiger Energielieferant. Außerdem ist Saudi-Arabien ein Mitglied des Zusammenschlusses der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20). Das Land befindet sich derzeit in einem großen regionalen Konflikt, insbesondere mit der Türkei, Katar und dem Iran. Von einem militärischen Konflikt oder einer wirtschaftspolitischen Blockade zwischen den betroffenen Ländern wären für Europa potenziell wichtige Schifffahrtsrouten, wie die Straße von Hormus, der Suez-Kanal oder der Zugang zum schwarzen Meer, betroffen. Saudi-Arabien steht zudem immer wieder bezüglich des Umgangs mit Menschenrechten, Pressefreiheit und brutalen militärischen Interventionen im Jemen in der Kritik.
Auf der anderen Seite verfügt das Land durch die Öl- und Gaswirtschaft über wichtige infrastrukturelle Vorteile, welche dem Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft zu Gute kommen könnten. Saudi-Arabien beliefert die Welt seit vielen Jahren zuverlässig mit Öl und baut seine Wirtschaft in großem Tempo um. So entsteht die klimaneutrale Megacity NEOM auf einem Areal ungefähr von der Größe Belgiens. Die Pläne für NEOM sind extrem ambitioniert, haben aber das Potenzial als Vorreiter für weltweite Smart City Projekte zu dienen. Zudem ist Saudi-Arabien selber vom Klimawandel stark betroffen und wird seinen Energiemix diversifizieren müssen. Neben der Ausbeutung der erneuerbaren Energiequellen aus Wind und Sonne öffnet sich das Land zudem für internationale Investoren, legt großen Wert auf die Bildung seiner jungen Bevölkerung und liberalisiert sich deutlich in Bezug auf Bürger- und Freiheitsrechte.
Auffällig ist zudem die finanzielle Verflechtung von Wirtschaftsbeziehungen mit Europa, welche von Ländern des nahen Ostens vorangetrieben wird. So investieren vor allem Saudi-Arabien und Katar über ihre Staatsfonds große Summen in europäische Unternehmen, Infrastrukturprojekte und sogar in Fußballklubs. Dies dient sowohl der Diversifizierung der Volkswirtschaften, die sehr abhängig von dem Export fossiler Rohstoffe sind, als auch zur Aufbesserung des eigenen Images und der Demonstration scheinbarer Weltoffenheit.
Ein weiteres Land, welches sich als potenzieller Lieferant von grünem Wasserstoff eignen könnte, ist Angola. Das Land wurde 1975 von der portugiesischen Kolonialherrschaft in die Unabhängigkeit entlassen. Seitdem wurde das Land in verschiedene Bürgerkriege verwickelt.
Wie Saudi-Arabien ist Angola ein erdölexportierendes Land und Mitglied der OPEC. Durch die Folgen der Kolonialherrschaft und des jahrzehntelangen Bürgerkriegs hat das Land großen wirtschaftlichen Aufholbedarf. Durch die portugiesische Landessprache besteht zudem eine Barriere für den Anschluss an die Weltwirtschaft.
Trotzdem entdeckte das Land vor wenigen Jahren sein Potenzial für erneuerbare Energien und den Energieexport durch grünen Wasserstoff. So verfügt Angola neben Erdölvorkommen über große Wasserkraftwerke, deren Stromerzeugung den eigenen Verbrauch übertreffen. Aus dem Überschuss kann grundsätzlich grüner Wasserstoff durch Elektrolyse gewonnen werden. Die Wasserkraftwerke befinden sich teilweise in der Nähe der Hauptstadt Luanda, sodass Wasserstoffderivate über den dortigen Hafen verschifft werden können.
Im Süden grenzt Angola an Namibia. Im vergangenen Jahr hat sich Namibia zu einem Liebling der deutschen Wirtschaftspolitik entwickelt. Es gibt derzeit keine belastbare Infrastruktur bezüglich Sonnen- und Windkraftwerken, Elektrolyse-Anlagen oder Hafenkapazitäten zum Export von grünem Wasserstoff. Jedoch hat die namibische Regierung beschlossen eine führende Nation für den Export von grünem Wasserstoff zu werden. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind grundsätzlich positiv und das Investoreninteresse ist groß.
Namibia ist ein erstaunliches Beispiel für die Veränderung eines Geschäftsklimas gegenüber einem potenziellen Energieexporteur. Bis vor kurzem wurde das Land noch aufgrund der historisch gewachsenen Beziehungen zu Nordkorea und Kuba sehr kritisch bewertet. Zudem kämpft das Land seit langem um die Aufarbeitung und Reparation des Völkermordes an den Herero und Nama während der deutschen Kolonialbesatzung.
Der Umgang Deutschlands mit Namibia bleibt ein interessantes Thema. Derzeit versuchen einige deutsche Unternehmen in dem Land Fuß zu fassen und es entstehen wichtige Projekte, auch der namibischen Bevölkerung zugutekommen. Namibia könnte ein wichtiger Vorreiter sein, um neue vertrauensbasierte Handelsbeziehungen zu etablieren.
Allgemein ist Afrika der Ort, an dem klimaneutrale Wirtschaftsentwicklung weltweit das größte Potenzial hat. So kann der Hochlauf erneuerbarer Energien grundsätzlich selbst erwirtschaftet werden und somit eine afrikanische Energieautarkie erreicht werden.
Als ein Beispiel ist der Southern Africa Power Pool (SAPP) zu nennen. Der SAPP ist ein gemeinsamer Strommarkt aus 12 verschiedenen südafrikanischen Ländern. Um die Idee eines energieautarken gemeinsamen Marktes darzustellen, lohnt ein Blick auf die Nachbarländer Angola, Namibia und Südafrika. Diese Länder sind historisch eng miteinander verbunden und weisen in ihrer Gesamtheit einen diversen Energiemix vor. So verfügt Angola über Erdölreserven und Wasserkraft, Namibia hat ein enormes Potenzial für Wind- und Sonnenenergie und in Südafrika ist neben dem Potenzial zur Energiegewinnung aus Wind und Sonne ein großes Förderland für Kohle. Wenn alleine diese drei Länder einen vollintegrierten Energiemarkt bilden, könnten sie über die Einnahmen aus Öl- und Kohleexporten den Aufbau von Wind- und Solaranlagen sowie Wasserkraftwerken finanzieren und die Überschussenergie in exportfähigen grünen Wasserstoff speichern. Außerdem haben die Länder die Möglichkeit die Elektrifizierung der eignen Bevölkerung voranzutreiben und somit weitere Wirtschaftspotenziale zu entfalten. Mit kostengünstiger Energie hätte das südliche Afrika zudem die Möglichkeit, sich als Produktionsstandort für die verarbeitende Industrie ins Spiel zu bringen. Ein Problem dabei könnte jedoch das niedrige Bildungsniveau der Bevölkerung sein. Somit ist neben der Elektrifizierung eine Qualifizierung von Fachpersonal nötig.
Neben der Energieautarkie könnte sich der Freihandel als wichtiger Erfolgsfaktor für das afrikanische Wirtschaftswachstum erweisen. In Afrika sind die Bildung und weitere Integration verschiedener regionaler Freihandelszonen auf dem Vormarsch. Außerdem entwickelt sich derzeit die African Continental Free Trade Area (AfCFTA), eine Freihandelszone, welche sich im Idealfall auf alle Mitgliedsstaaten der Afrikanischen Union (AU) erstrecken soll. Ein Vorbild für die Entwicklung durch freien Handel könnten die asiatischen Tigerstaaten sein, welche sich im 20. Jahrhundert innerhalb weniger Jahrzehnte aus tiefster Armut zu Industriestaaten transformiert haben.
Weitere konkrete Vorbilder sind Dubai, Shenzhen und Singapur. Die drei Städte haben sich aus armen Dörfern, über die Energieförderung, als Produktionsstandort und Handels- und Finanzzentren zu wohlhabenden Weltmetropolen entwickelt. Durch den Einsatz intelligenter Technologie gelten die Städte zudem als weltweite Referenz für Smart City Projekte.
Zusammenfassend bestehen in der europäischen Energiewende viele Chancen und Risiken für die Zusammenarbeit mit Schwellen- und Grenzländern.
Als oberstes Ziel für die Wirtschaft und die Zivilbevölkerung gilt die Sicherung der Energieversorgung. Dabei sind die Regierungen gefragt, über kluge Energiepolitik und Wirtschaftsdiplomatie eine gutes Geschäftsklima mit anderen Ländern zu entwickeln. Als Risiko könnte sich dabei der Aufbau neuer Abhängigkeiten erweisen. Insbesondere Staaten wie Saudi-Arabien haben in der Vergangenheit gezeigt, dass sie große Infrastrukturprojekte stemmen können und grundsätzlich als solider Wirtschaftspartner einzuschätzen sind. Trotzdem unterscheiden wir uns kulturell von vielen Partnern enorm und haben verschiedene politische Interessen. Daher ist der Aufbau von Diversität unter den Lieferanten von Energie und Rohstoffen unerlässlich.
Länder des globalen Südens verfügen über wichtige Quellen erneuerbarer Energien. Es fehlt jedoch weiterhin an benötigten Anlagen und Wissen, um diese Quellen gewinnbringend zu nutzen. Fraglos werden einige Industrieunternehmen in den kommenden 50 Jahren Deutschland verlassen und ihre Produktionsstandorte in Länder des globalen Südens verlegen. Dort wird in Zukunft die Energie günstig und die Bevölkerung jung und leistungsfähig sein. Auf diesem Wege gibt es jedoch viele geschäftliche Möglichkeiten für deutsche Unternehmen. Insbesondere der Wissenstransfer und der Verkauf qualitativ hochwertiger und innovativer Ingenieursprodukte könnte nach wie vor eine wichtige Einnahmequelle bleiben.
Dafür benötigt Europa jedoch neue Denkmuster und wird womöglich weniger wertegeleitet, sondern mehr auf Basis eigener Interessen agieren müssen. Eine interessengeleitete Außen- und Wirtschaftspolitik bietet die Möglichkeit, geostrategische Ziele langfristig und in Partnerschaft mit anderen Ländern zuverlässig zu verfolgen.
Final ist zu benennen, dass der Hochlauf der Wasserstoffindustrie derzeit ein Zukunftskonzept ist. Die Ausgestaltung und Verbesserung verschiedener Konzepte haben bereits begonnen. Insbesondere Städten und Kommunen, sowie Planern und Gestaltern von Smart City Lösungen sollte geraten sein, sich ganzheitlich mit H2-Lieferketten zu beschäftigen und die eigenen Ideen zu integrieren.
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